Rassekunde

// Die Schlankformkatzen

Die Siamkatze und alle durch gezielte Zucht daraus entstandenen Abkömmlinge unterscheiden sich durch ihren schlanken, grazilen Körperbau grundsätzlich von den anderen Katzenrassen. Ihr Ursprung liegt in Südostasien. Der Grund, warum sich der schlanke Körperbau dort über lange Zeiträume so speziell entwickelt hat, liegt größtenteils im Dunkeln. Die geographische Verteilung des Knickschwanzes, einer erblichen Unregelmäßigkeit in der Schwanzwirbelsäule bei Katzen, gibt Hinweise. Lange Zeit war der Knickschwanz das typische Merkmal der Siamkatze neben der blauen Augenfarbe. Heute noch besitzen etwa zwei Drittel der Straßenkatzen Ostasiens diesen Knickschwanz. Man nimmt an, dass Schiffskatzen arabischer und indischer Seefahrer an die Spitze der Malayischen Halbinsel gelangten. Der berühmte Naturforscher Darwin studierte die Katzen mit Knickschwanz bereits Mitte des letzten Jahrhunderts und berichtete darüber. Diese Seefahrerkatzen hatten ihren Ursprung hauptsächlich im mediterranen und kleinasiatischen, klimatisch warmen Raum. Man kann auch heute noch sehen, dass die Hauskatzen dort wesentlich graziler sind und spitzere, feinere Köpfe mit größeren Ohren haben. Einige wenige der Seefahrerkatzen wiesen wahrscheinlich die genetisch bedingte Schwanzdeformation auf. Durch den Vererbungsmechanismus, der vermutlich durch das Zusammenwirken vieler Gene bedingt ist, verbreitete sich der Knickschwanz zusammen mit der dem warmen Klima angepassten Schlankform über den gesamten asiatischen Raum. Schlanke Form bedeutet: große Körperoberfläche und damit besserer Temperaturausgleich mit der Umgebung sowie größere Beweglichkeit, Aktivität und Reaktionsfähigkeit. Die letzteren Eigenschaften bilden die Grundlage für die große Spielfreude, Neugier, Intelligenz und ständige Aufmerksamkeit der Siamkatze und ihrer Verwandten. Wir lieben genau das an ihr, aber manchmal kann sie uns auch ganz schön auf die Nerven gehen. Es ist einfach nicht möglich, sich diesen Katzen zu entziehen - genau darin liegt ihre Faszination!

// Die Herkunft

Die Siamkatze zählt zu den ältesten bekannten Rassekatzen überhaupt. Erste Hinweise datieren bereits aus dem 14. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Wie der Name erahnen lässt, stammt die Rasse aus dem alten Siam, dem heutigen Thailand, wo sie ein wertvolles, geschätztes Tier der Oberschicht war.

Nach Europa gelangten diese Katzen relativ spät. 1871 kamen erste Exemplare der blauäugigen Schönheiten nach England und sorgten dort für großes Aufsehen. Ab etwa 1890 wurden die Siamesen in unseren Breitengraden gezüchtet. Anfangs gedieh die Zucht sehr schlecht, weil man die Katzen falsch hielt und ernährte. Man fütterte sie mit in Milch eingeweichtem Brot und sperrte sie in eine Art gläsernes Gewächshaus wie exotische Pflanzen. Viele Tiere wurden krank und starben. Nur langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass auch Siamkatzen fleischhaltiges Futter und frische Luft brauchten.

Aus dieser Zeit stammt die sich hartnäckig haltende Geschichte von der "rundköpfigen" , alten Original-Siam". Die ersten importierten Siamkatzen waren zu keiner Zeit rundköpfig und plump, sie waren von ihrem Ursprung her schon immer Schlankformkatzen. Durch falsche Haltung im englischen Klima waren die ersten Zuchtergebnisse enttäuschend. Deshalb hatte man sehr schnell begonnen, Hauskatzen mit Siam zu kreuzen, um die Tiere stabiler und klimaangepasster zu machen. So erklärt sich, dass 1895, drei Jahre nach Erstellung des allerersten englischen Siamstandards, bereits zwischen einem rundköpfigen und einem gestreckten, langköpfigen Typ (marten face = Mardergesicht) unterschieden wurde. Wo, wenn nicht von der importierten Schlankformkatze, konnte das Mardergesicht hergekommen sein? Von den britischen Hauskatzen jedenfalls nicht.

Die teilweise extrem typvollen Katzen unserer Zeit sind das Produkt einer gezielten Zuchtauswahl der schon damals festgelegten typischen Merkmale, allerdings bis ans äußerste Limit. Sicher nicht immer zum Nutzen der Katzen - in den USA beispielsweise brach die Zucht der Show-Siamesen um 1990 zusammen. Die bis ins Äußerste übertriebene Feingliedrigkeit, die die Liebhaber als den Gipfel der Schönheit ansahen, war den Katzen zum Verhängnis geworden.

Die außergewöhnliche Maskenzeichnung der Siamesen beruht auf einer von vielen Mutationen (Veränderung des Erbguts) in dem Erbfaktor, der für die Farbstoffbildung im Haar verantwortlich ist. Dieser Farbstoff (Melanin) wird dann entweder in geringerer Menge oder biochemisch verändert im Haar abgelagert. Die Maskenzeichnung gehört zu den Albinogenen. Sie bewirken, dass weniger oder überhaupt kein Farbstoff im Haar gebildet wird. Auch die an den kühleren Körperregionen gebildet: im Gesicht, an der Ohrrückseite, am Schwanz und an den Pfoten und etwas entlang der Beine. Siamkatzen werden weiß geboren; erst wenn die Körperteile der kühleren Umgebungstemperatur ausgesetzt sind, bildet sich das Pigment und wird in die neuen Haare eingelagert. Die blauen Augen sind ein Resultat des mit dem Albinofaktor einhergehenden Pigmentmangels. Wann und wo diese Mutation entstanden ist, ist wissenschaftlich nicht geklärt. Dieselbe temperaturabhängige Farbverteilung heißt bei Kaninchen "Himalayafaktor". Man kann darüber spekulieren, ob Asien, die Heimat der Siamkatzen, auch der Ursprungsort dieser Mutation irgendwann während der Evolution war. Die Temperatursensitivität des Gens wurde allerdings schon 1930 wissenschaftlich bewiesen.

// Charakter und Eigenschaften

Wie alle Katzen des orientalischen Typs ist die Siamkatze sehr lebhaft und unglaublich anhänglich. Sie möchte ständig Körperkontakt haben, liebt es, ausgiebig zu schmusen, und sie schätzt es sogar, wie ein Hund geklopft zu werden. In vielen Dingen ist sie einem Hund ähnlicher als einer Katze. Nicht nur ihre sprichwörtliche Leinenführigkeit gehört dazu, sie ist auch praktisch immer gut gelaunt und um die Aufmerksamkeit ihres Menschen bemüht, manchmal bis zur Euphorie. Verschlossene und bedrückte Menschen kann dies aufmuntern, sie können sich aber auch durch soviel Lebensfreude und Aufdringlichkeit belästigt fühlen. Dann ist die Siamkatze nicht das richtige Haustier.

Das typische Wesen der Siamkatzen zeigt sich am ausgeprägtesten, wenn die Mädels rollig und die Kater auf Freiersfüßen unterwegs sind. Dann sind sie noch gesprächiger als sonst, auch wesentlich lauter, sie rufen und "bellen" fast nach einem kätzischen Liebespartner. Sie beehren manchmal auch ihre Bezugspersonen mit dieser verstärkten Aufmerksamkeit. Nicht umsonst sagt man in England bei einer rolligen Katze: "She is calling".

Siamkatzen sind direkt in ihren Wünschen und Abneigungen und wie Hunde leicht zu durchschauen, weil sie ihre Gefühle niemals verbergen können. Sie sind hochintelligent und kommunikativ, schonungslos extrovertiert mit einem Hang zu Naivität, erfinderisch und von endloser Geduld im Spiel, sofern sich ihr Mensch nicht mit etwas anderem beschäftigt - Siamkatzen eben!

Auch das Verhalten mehrerer Siamesen untereinander, die in einem Haushalt leben, ist etwas Besonderes. Nur orientalische Katzen zeigen ein so eng verwobenes Verhältnis der Gruppenmitglieder zueinander. Ähnlich wie beim Löwenrudel gehören gegenseitige Körperpflege, Fangspiele und Balgereien, gemeinsame Jagd, vorallem aber enges Aneinanderkuscheln zum täglichen Programm. Das friedlichste Bild in der Wohnung ist eine schlafende Gruppe von Siamesen und Orientalen: ein einziges großes Fell mit vielen Köpfchen und Pfoten.

Zur Besonderheit ihres Wesens kommt das außergewöhnliche Aussehen der Siamkatzen. Als Jungtiere ganz weiß geboren, entwickelt sich ihre entgültige Färbung langsam bis zum dritten Lebensjahr. In warmer Umgebung bleiben Siamkatzen heller, nach Verletzungen wächst das Haar zuerst dunkel nach und gleicht sich dann wieder an. Der Farbkontrast zwischen dem hellen Körperfell und den dunkleren Points bleibt mehr oder weniger stark das ganze Leben erhalten. Ebenso die blauen Augen, die jedem Blick standhalten und unwiderstehlich alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, gepaart mit der Eleganz ihrer schlanken Figur, ihrem lebhaften Wesen und ihrem feinen, seidigen Fell.

// Allgemeine Beschreibung, richterliche Beurteilung

Folgende Rassen nennt man orientalisch: Orientalisch Kurzhaar (OKH), Orientalisch Kurzhaar mit Abzeichen (Siamesen), Orientalisch Langhaar (Javanesen, Mandarin), Orientalisch Langhaar mit Abzeichen (Balinesen).

Diese vier Rassen haben den selben Körpertyp und unterscheiden sich nur in Farbe, Zeichnung und Haarlänge.

Die geschmeidigen und graziösen, langen und schlanken Orientalen sind die Primadonnas und Ballettänzerinnen der Katzenwelt. Sie sind schön und das wissen sie. Der orientalische Typ ist durch große Ohren gekennzeichnet, einen keilförmigen Kopf, einen langen Hals und Körper und lange Beine, sowie einen langen, peitschenähnlichen, spitzen Schwanz. Eine Siamesin oder Orientalin zu berühren ist, als fühle man einen Seidenhandschuh auf einer eisernen Faust. Diese Katzen sind feinknochig, sehen zerbrechlich aus und haben extrem lange, elegante Körperspitzen, aber ihre Muskeln sind fest und hart. Sie sollten sich so fest anfühlen wie Fels und dürfen niemals abgemagert oder zu dünn sein.

Der keilförmige Kopf, der in einer zarten Schnauze endet, sollte in einem langen Dreieck Platz haben. Im Profil verläuft eine gerade Linie, ohne Senkung (Stop) oder Hebung, von der Stirnmitte bis zur Nasenspitze und zur Kinnunterseite. Die Linie von der Kinnseite bis zum Ohrenansatz sollte ebenfalls gerade sein, ohne Einbuchtung vom Kopf bis zur Schnauze. Große, unten breite Ohren vervollständigen das vom keilförmigen Kopf gebildete Dreieck; sie sollten leicht nach vorne geneigt sein.

Die mittelgroßen, mandelförmigen Augen sollten etwa eine Augenlänge voneinander entfernt und leicht schräg zur Nase stehen. Der äußere Augenwinkel zeigt auf die Mitte der Ohrenbasis. Diese Verbindung von Augenform, -größe, -stellung und Neigung verleiht den Augen einen entschieden orientalischen Ausdruck. Ist die Stirn zu breit, liegen die Augen zu weit auseinander und die Katze sieht nicht so aus wie erwünscht. Der schlanke, graziöse Hals wird aufrecht getragen, so dass seine Länge zur Geltung kommt und erhöht die Eleganz der Katze.

Der lange, rohrförmige, schmale Körper ist mittelgroß, mit feinem, schlanken Körpergerüst und harten Muskeln. Auch die Beine sind lang und feinknochig, die hinteren sind etwas länger als die Vorderbeine. Die Füße sind oval, klein und zierlich. Der Schwanz ist lang, schon am Ansatz schmal und peitschenähnlich.

Siamesen und Balinesen tragen Abzeichen, die Orientalisch Kurzhaar (OKH) und die Orientalisch Langhaar (Javanesen) hingegen haben Farbe und Zeichnung. Siamesen und Orientalisch Kurzhaar sollten kurzes, enganliegendes Fell haben, als wäre es mit glänzendem Lack hingepinselt. Balinesen und Javanesen sollten halblanges Fell haben. Das Haar auf dem Schwanz ist gewöhnlich länger als das Körperhaar.